....Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust......

 

was Goethes Faust eher bedauernd feststellt, empfinde ich durchaus als bereichernd:

Aufgewachsen in einem Haus, in dem sowohl Musik wie auch textile Arbeiten heimisch waren, hatte ich bereits in früher Kindheit Zugang zu beiden Sparten: meine Grossmutter war Schneiderin, sie lebte in unserem Haus, benähte bis ins hohe Alter die ganze Familie und machte Nähen zu einer äusserst selbsteverständlichen Anschauungssache. Meine Mutter und zwei grosse Geschwister spielten intensiv Klavier, mein Vater war ein grosser Opernliebhaber, Musik war also ebenfalls "normal" und ständig präsent.  Ein einschneidendes Erlebnis für mich war der Besuch der Mozartoper „Die Entführung aus dem Serail“ mit vier Jahren- spätestens hier verwoben sich Musik und schöne Kleider untrennbar miteinander. Meine eigene musikalische Ausbildung begann knapp sechsjährig mit dem ersten Klavierunterricht, stricken lehrte mich die grosse Schwester, sticken die Mutter. Die Stunde fürs Nähen schlug dann etwa sechs Jahre später zunächst mit dem Aufkommen der ersten Barbie-Puppen. Das waren "erwachsene" Menschlein, also musste ich lernen, „auf Figur“ zu nähen. Ein vom Vater geschenkter Opernkalender und das Knaur-Lexikon mit seinen winzigen Modebildern boten das nötige Anschauungsmaterial,und die ersten historischen Creationen entstanden: ein „Papa Haydn“ in blauem Samt, ein Rosenkavalier in weissem Duchesse, bereits mit aufwändiger Stickerei  für Ken, für die „Damen“ gab es üppige barockähnliche Roben, des weiteren Filmkostüme –Winnetou, Schut...(es war die Zeit der Karl-May-Filme und der Schwärmerei für besagte Helden.) 

Bei aller Leidenschaft für diese Tätigkeit - inzwischen nähte ich alle meine Kleider selbst- wurde jedoch der Zug zum Klavier immer stärker. Schon bald war klar, dass ich nach der Matur ein Musikstudium beginnen würde. An den  Musikhochschulen in Würzburg, Freiburg im Breisgau und Stuttgart studierte ich Klavier, Klavierkammermusik und Liedgestaltung und erwarb das Lehrdiplom für Klavier. Und da man Konzerte in entsprechender festlicher Kleidung gibt, war die Verbindung zum textilen Gestalten auch weiterhin vorhanden.

Irgendwann schloss sich dann der Kreis zu den historischen Gewändern - was sich seinerzeit en miniature anbahnte, darf ich heute in "Originalgrösse" verwirklichen: seit einigen Jahren nähe ich auf Kundenauftrag und mache somit mein geliebtes Hobby zu meinem zweiten Beruf.

 

Es ist immer wieder faszinierend, wie sich beide Sparten ergänzen und bereichern! Parallelen gibt es genügend: hier wie dort kommt es auf schöne Proportionen an, wir sprechen von Farbtönen und Klangfarben, Mode macht das Klingende sichtbar, in klingenden Formen lassen sich die Linien der Mode erkennen...